Von den Weinreben der Südsteiermark zum Ennstaler Steirerkas auf die Alm

Ein Beitrag von Silke Pendl

„Was ist DAS?!”, fragte mein vierzehnjähriger Bruder naserümpfend und mit verzogener Miene, als er an der Schüssel voller grünlich-grauer Krümelchen roch, die ich von meinem letzten Fotoauftrag mitgebracht hatte. „DAS, mein Freund, ist Ennstaler Steirerkas. Und Schande über dein Haupt, dass du ihn als echter Steirer nicht kennst”, meinte ich gekonnt verbergend, dass ich bis vor ein paar Wochen selbst nicht wusste, um was es sich genau bei dem berüchtigten Ennstaler Steirerkas handelte, dessen Herstellung ich für ein lokales Projekt im Ennstal fotografieren durfte. Jedoch war trotz des angeblich eigenartigen Geruchs alles, was ich an Steirerkas mitgebracht hatte, noch am selben Tag aufgegessen. Zu köstlich, um ihn nicht sofort auf ein frisches Bauernbrot mit Almbutter zu bröseln. Warum ihn nicht nur echte Steirer kennen sollten? Weil es sich nicht etwa nur um Käse handelt, sondern um etwas Einzigartiges.

Völlig verschiedene Welten nur 2 Stunden voneinander getrennt
Die Steiermark- das grüne Herz von Österreich. Eine Welt voller Vielfalt. Berge und Almen im Norden, sonnige Weinhänge und beinah schon mediterrane Temperaturen im Süden und das mitreißende, moderne und dennoch geschichtsträchtige Graz mitten im Herzen.

Als Südsteirerin bin ich an die angenehmen Temperaturen, das sonnige Wetter und die Weiten voller grüner, saftiger Weinberge gewöhnt. Nicht umsonst nennt man die Südsteiermark auch die steirische Toskana. Als ich für das Projekt „Von Anfang bis zum End’ aus Bauernhänd’ “ von Hildegard Innauer als Fotografin engagiert wurde und zum ersten Mal hoch in den Norden fuhr, war mir nicht klar gewesen, dass sich mir, innerhalb meines eigenen Heimat-Bundeslandes, eine völlig neue Kultur erschließen würde.

Ich stolperte in das Panorama einer Lebensart, die direkt vor meiner Haustür lag und mir dennoch so unbekannt war. Ich hatte Wien, Kärnten, Tirol und Salzburg besucht, doch nie war mir in den Sinn gekommen, den Norden der Steiermark genauer zu erkunden, in der Annahme, es gäbe dort zwar ein paar schöne Berge, aber was sollte denn sonst schon großartig anders sein, als zu Hause?

So anders im Norden – Willkommen im Ennstal
Was für ein Trugschluss! Es wird anders gesprochen, anders gegessen, es wird auch im Sommer kalt und sogar die modernen Häuser dort sind alle individuell und haben mit Schindeln bedeckten Charme! Keine erschlagenden Neubauten-Blöcke, wohin das Auge reicht. Ihr Dialekt klingt herzlich und verspielt und dabei kein bisschen wie sein böllender (bellender) südsteirischer Bruder. An kaum einer Wiese findet sich kein unter Denkmalschutz stehender, alter Schuppen, den man im Süden schon längst weggeschoben hätte, um dort eine Betonburg hochzuziehen. Die Menschen scheinen achtsamer im Umgang mit ihrer Natur und ihrem kulturellen Erbe. Gänzlich andere optische, kulinarische und sprachliche Eindrücke – innerhalb von nur zwei Stunden Autofahrt – im selben österreichischen Bundesland. Ich musste mir eingestehen, dass ich all das nicht kannte, obwohl es eigentlich meine Heimat war, die wohl doch nicht nur aus Weinhügeln, angenehm warmen Temperaturen und dem unverkennbaren, südsteirischen Dialekt bestand.

Was ist Ennstaler Steirerkas?
Der Ennstaler Steirerkas ist eines der wenigen Produkte in der EU, die es tatsächlich zur geschützten Ursprungsbezeichnung geschafft haben. Er wird von Anbeginn an ausschließlich von Sennerinnen auf der Alm erzeugt. Die Ennstaler Kühe, die ihre Sommerfrische auf der Alm genießen, ernähren sich von der artenreichen und alpinen Flora, die sich auf die Qualität des Milchfettes auswirkt.

Von Anfang bis zum End’ aus Bauernhänd’
„Griaß Di!”’ rief mir Hildegard Innauer, liebevoll Hilli genannt, aus dem Torbogen des über fünfhundert Jahre alten Bauernhauses ihres Heimathofes in Gröbming zu. „Mei des gfreit mi, dassd do bist!”

Selbst fleißige Milchbäuerin, ist Hilli das kreative Köpfchen hinter „Von Anfang bis zum End‘ aus Bauernhänd’“ und möchte mit diesem Format mit vollster Leidenschaft auf die Wertigkeit Ennstaler Urprodukte, ihre Herstellung, die Menschen und die Betriebe dahinter, sowie auf deren Wertigkeit aufmerksam machen.

„Aufi auf die Oim!”
An diesem Wochenende packte mich Hilli samt meiner Fotoausrüstung in ihren Pick-Up und es ging, im wahrsten Sinne, über Stock und Stein, begleitet von Gerumpel und Gewackel, zwischen den Öfen hindurch, auf die in 1445 m Seehöhe gelegene Viehbergalm, wo DAS Ennstaler Produkt von Sennerinnen den Sommer über hergestellt wird – Der legendäre Ennstaler Steirerkas. DER Star aus der Region.

Auf der Alm bei den Sennerinnen
Almbäuerin und Sennerin Marianne Gruber vlg. Ritzinger aus Gröbming begrüßte unser rumpelndes Ankommen freudig. Von Juni bis September kümmert sie sich um die Kühe auf der Viehbergalm und stellt den Ennstaler Steirerkas auf traditionelle Weise her, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Sie ist Obfrau des eigens für den Steirerkas gegründeten Vereins Ennstaler Steirerkas g.U. und ja, der Ennstaler Steirerkas hat sogar seinen eigenen Verein! Marianne bildet über den Almsommer Jungsennerinnen aus, die das Steirerkäsen bei ihr erlernen.

Ein gemütlicher Alm-Abend im Stüberl der rustikalen Wanderhütte, musste jedoch ein frühes Ende finden, denn am nächsten Morgen ging es in aller Frühe mit Kuh, Kamera und Munterkeit an das Käsen.

Vom Melken bis zum Endgenuss – Schritt für Schritt zum Steirerkas
Das kuschelig warme Bett der urigen Wanderhütte musste um halb sechs morgens zurückgelassen werden. Denn im ersten Schritt wird zeitig gemolken.
Die Kühe werden zum Melken von den Sennerinnen gerufen. So erklingen in der frischen Morgenluft, während die Sonne bereits über den Bergrand blinzelt, quer über die gesamte Alm, Laute wie ‚Heeeee Doooooo!‘ – was so viel bedeutet wie: ‚Komm her da/Her da oder ‚He Weiwi, He Boisi, He Weiberla!‘ was man mit ‚Hi Mädels‘ übersetzen kann. In solch frühen Morgenstunden kann es jedoch passieren, dass man sich die und da vielleicht einmal ein wenig verspätet. Gerufen muss in einem solchen Fall nicht mehr werden. Die Ladies Goldie und Silba, legen Wert auf Pünktlichkeit und warten dann bereits ungeduldig vor der Stalltür auf ihre Sennerinnen.

Im nächsten Schritt werden die Damen gemolken, wonach die frisch gemolkene Rohmilch anschließend durch ein Milchsieb geleert wird, welches feine Rückstände herausfiltert.

Nun geht es in dem kleinen Kämmerl neben dem Stall, in das ich mich mit meiner Kamera quetschte, ans Zentrifugieren.

In diesem Schritt wird der fette Anteil der Milch (Rahm) vom mageren Anteil (Magermilch) getrennt. Durch die Zugabe spezieller Kulturen wird die Magermilch  angesäuert und stehen gelassen, um sie danach weiter zum Ennstaler Steirerkas verarbeiten zu können. Doch auch das Engagement des Rahms kommt nicht zu kurz! Er wird zu köstlicher, frische Almbutter verarbeitet. Der Ennstaler Steirerkas wird aus dem eigens dafür gereiftem Magertopfen nach traditionellem Rezept, entsprechend dem dreigliedrigen Grundsatz ‚g’sotten, prest, aufbaht‘ (gekocht, gepresst, gereift) hergestellt.

Aus 60 Liter Milch können ca. zwei Kilogramm Butter und vier Kilogramm Ennstaler Steirerkas erzeugt werden. Der darauffolgende Schritt ist der spannendste, denn er stammt aus jahrhundertealter Überlieferung und ist seit jeher unverändert geblieben: Die eigentliche Herstellung von Ennstaler Steirerkas! Die bereits 24 Stunden lang ruhende, saure Magermilch wird nun aufgekocht. Nach dem Aufkochen wird der daraus entstehende Kasbruch in ein Leinentuch geschöpft und in eine Schottwiese gelegt, wo die Molke fest ausgepresst wird. Danach wird der Magertopfen gesalzen, gepfeffert und in Formen gepresst. Die Formen werden mit schweren Steinen beschwert. Der Ennstaler Steirerkas lässt sich nun vier Wochen Zeit heranzureifen und wird dabei mehrmals gewendet.

Ein jahrhundertealter Käse-Epos
Funde aus der ANISA Forschung von Franz Mandl, der die Almen im Dachsteingebirge akribisch erforscht hat, bezeugen, dass bereits in vorrömischer Zeit Almwirtschaft betrieben und im 2000 km Käse aus gesäuerter Magermilch hergestellt wurde und die traditionelle Herstellungsweise bis heute überliefert ist. Der Ennstaler Steirerkas und seine altbewährte Herstellung haben also fast schon mehr Geburtstage gefeiert, als der Kalender wohl zählen kann.

Almfrühstück
Nach getaner Arbeit wird der große, rustikale Holztisch vor der Almhütte für das Frühstück gedeckt. Und wie sieht ein echtes Almfrühstück im Ennstal aus? Wie sollte es anders sein, Ennstaler Steirerkas auf Mariannes frisch gebackenem Brot und Almbutter mit einem Häferl Vollmilch, die frischer nicht sein könnte – am selben Morgen von Chief-Kuh Goldi für uns zubereitet! Dazu selbstgemachte Marmelade und Gemüse, von Marianne und ihren Sennerinnen liebevoll im Almgarten aufgezogen und geerntet.

Zurück in den Süden – Mit dem Kas im Gepäck
Als ich mit Hilli wieder durch die Öfen die Alm hinunter rumpelte, entschied ich, meiner Familie auch ein Stück Ennstaler Kultur mitzubringen.

Wir stoppten bei Spar in Gröbming, denn Mariannes Steirerkas ist dort natürlich fester Bestandteil des Sortiments, und ich holte mir eine ordentliche Ladung davon für zu Hause. Da es dort auch nach Originalrezept gebackene Steirerkrapfen gab (undenkbar bei einem Spar im Süden), wurden auch die als Mitbringsel für zu Hause erkoren, um das kulinarische Abenteuer noch einmal authentisch durchleben zu können. Denn, wie ich an diesem Wochenende gelernt habe, wenn es einen Ort gibt, auf dem sich der Ennstaler Steirerkas noch wohler fühlt, als auf frischem Bauernbrot, dann auf einem echten Steirerkrapfen!

Jenes Wochenende war ein Streifzug durch die uralte Geschichte und aufwendige Herstellung eines einzigartigen, traditionellen Produktes, dem eine gesamte Region ihre Berühmtheit verdankt und eines der wenigen ist, das EU-weit eine geschützte Ursprungsbezeichnung erlangte. Hinter jedem Biss frischem Bauernbrot mit Almbutter und Ennstaler Steirerkas steckt also eine Geschichte, die es wert ist, sie zu erzählen!

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